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Tobias Meinhart

Kritik zum Konzert am 25. April im Leeren Beutel in Regensburg

Gemeinsam fangen sie die Polyphonie von NYC ein: Regensburgs Jazzvertreter in Brooklyn, gastierte mit seinem Quartett „Sonic River“ vor ausverkauftem Haus im Jazzclub

Wer’s in New York schafft, schafft’s bekanntlich überall. Der Tenorsaxophonist Tobias Meinhart darf für sich beanspruchen, Exportartikel Nr. 1 zu sein, in Sachen Jazz, von der Donau an den Hudson River. Weshalb es ihm, der in Wörth an der Donau aufgewachsen ist und hier am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium sein Abitur gemacht hat, mit seinen vier Begleitern vor heimischer Kulisse spielend gelingt, das Publikum im restlos ausverkauften Leeren Beutel um den Finger zu wickeln. Und in knapp zwei Stunden Nettospielzeit einen tiefen und bleibenden Eindruck davon zu vermitteln, wie diese Neunmillionen-Metropole, in der er seit 14 Jahren mittlerweile lebt, klingt. Nämlich fiebrig, ekstatisch und wild. Aber auch meditativ, in sich gekehrt und verträumt. Jazz ist allgegenwärtig im Big Apple, sagt Tobias Meinhart: Es gibt kaum einen Aufzug oder einen Supermarkt, aus dessen Lautsprechern nicht unvermittelt John Coltrane erklingt oder Miles Davis.

Vollkommene Souveränität

Begonnen hat er seine musikalische Ausbildung dem Abitur 2001 am Music College in Regensburg, eigentlich nur, um ein Jahr zu überbrücken, weil er Medizin studieren wollte. Aber, so flachst er nach Konzertende mit Yankee Meier, einem seiner damaligen Lehrer – die Welt, sie muss verzichten, auf ihn als Weißkittel. Denn schon als Erstsemester hatte er begriffen, dass seine wahre Bestimmung darin liegt, Musik zu machen. Die beiden sind sich einig: Die hohe Schule der Tonbildung, die sie damals gemeinsam betrieben haben, sie ist ein weites, unüberschaubares Feld. Und deshalb Quell steter Freude. Via Basel und Amsterdam landete Tobias Meinhart schließlich an der New York School of the Arts, das er 2012 mit einem Master im Fach Jazz-Performance abschloss. Von Anfang hat er seine neue Heimat als Herausforderung begriffen. Als gebürtiger Bayer landete er in einer Stadt, in der er mit rund 30.000 anderen Saxophonisten um die Wette spielt. Er musste sich also dieses spezielle Idiom erst aneignen und das gesamte Repertoire erwerben. Jedenfalls, so sagt er, hatte er schlechtere Karten als jemand, der etwa in Harlem geboren wurde. Aber – und das wird bei der eindringlichen Performance an diesem Abend im Leeren Beutel in jeder Sekunde deutlich: Er ist nicht nur angekommen – er hat mittlerweile vollkommene Souveränität im Zugriff alle Mittel erreicht, die einem Saxophonisten zur Verfügung stehen. Das Magazin „Downbeat“, die wichtigste Jazz-Zeitschrift der Welt, widmete ihm kürzlich ein Feature und lobt seinen eigenen Akzent. Trotzdem: Zum Komponieren kommt Tobias Meinhart alljährlich zurück, mach Bayern. Und genießt die Ruhe, wenn er das einzufangen versucht, was fluide in seinem Kopf als singbare Melodie vorhanden ist. New York City ist ihm für diese introvertierte Arbeit viel zu hektisch und nervös. Aber, so betont er, sein Künstlerleben könne er sich außerhalb der Riesenmetropole gar nicht mehr vorstellen. Die Stadt, sie sei wie eine Droge, die süchtig mache.

Vom Flow zum Take-off

Seinen musikalischen Glückszustand bezeichnet Tobias Meinhart als „Flow“. Das ist eine Kategorie, die sich auch bei uns eingebürgert hat und darauf anspielt, dass man eine solche Freude an seinem Tun verspürt, dass man schließlich in einen Zustand gerät, in dem alles zu fließen scheint. Weil man in einen Schaffensrausch gerät und dabei alles andere vergisst. Das verkörpert er auch im wahrsten Wortsinn, wenn er sich beim Spielen reinkniet, um im nächsten Augenblick hochzuschnellen und – gepackt vom Groove – zu tänzeln. Die Heimspielatmosphäre pusht Tobias Meinhart an diesem Abend noch zusätzlich – weshalb seine Kollegen bei ihm „Hometown-Vibes“ diagnostizieren. Fast wie ein Sportler verausgabt er sich an diesem Abend, wenn er seine Dienste zunächst dem Orchestralen widmet, um dann auszuscheren und zu solieren. Und sich labt, am Mineralwasser. Im zweiten Set legt er dann irgendwann sein schwarzes Ledersakko ab – aber da ist aus dem Flow eh schon lang ein Take-off geworden: Drummer JK Kim, der in Seoul auch K-Pop-Superstar ist, ist ein energetischer Magier – im fliegenden Wechsel holt er die Sticks aus seinem Köcher, auch mal Paukenstöcke und wechselt dann zu Rimshots. Ramiro Olaciregu aus Ecuador wiederum ist ein brutal schneller Gitarrist, der aus der großen Echokammer der Fusion Jazz-History heraus mit seinen warmen Sounds Erinnerungen an John Scofield oder Pat Metheny weckt. Kontrabassist Matt Penman, aus Neuseeland stammend, wiederum ist ein unermüdlicher Arbeiter, der sein bundloses Brett traumhaft sicher im Klammergriff behält und seine Muster mit unfassbarer Behendigkeit beherrscht. Eden Ladin wiederum, in Tel Aviv geboren, hält den Laden am Flügel zusammen. Einmal – da ist JK Kim gerade am Solieren – da gibt er Tobias Meinhart einen Stups – weil er doch auf Sichtkontakt angewiesen ist, um seine Tupfer präzise setzen zu können. Und so fängt am Ende dieses Quintett mit seinem begeisternden Spiel die Polyphonie und damit die Vielstimmigkeit von New York City ein. Und verfrachtet dieses sonische Superpaket erfolgreich tief hinein, ins mittelalterliche Herz von Regensburg. (Peter Geiger)

BU: Tags zuvor spielten sie noch in Paris. Und nach ihrem Heimspiel in Regensburg brach Tobias Meinhart mit seiner Band „Sonic River“ nach Berlin auf.