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Der Nino aus Wien

Kritik zum Konzert am 26. April im Degginger in Regensburg

Trotz aller Selbstzweifel: Es geht immer ums Vollenden! Der Nino aus Wien unterhält ähnlich wie Josef Hader eine Sonderbeziehung zu Regensburg und kommt immer wieder gerne an den nördlichsten Punkt der Donau

Man muss gar kein großer Experte sein, was das Oeuvre vom Nino aus Wien anbelangt: Hört man ihm ein bisschen zu, dann könnte man meinen, er, der zwei Tage vorm Dylangeburtstag im Jahr 1987 als Nino Mandl im 22. Wiener Bezirk geboren wurde, und dort, in der Donaustadt also, aufgewachsen ist, er sei ein ganz armer Tropf. Wie eine Figur aus dem unendlichen Nestroy-Kosmos oder ein mit einem Minusvorzeichen multiplizierter Gustav Gans, der das Pech so potent anzieht wie ein auf Hochspannung laufender Elektromagnet. Auf seinem neuen Album „Endlich Wienerlieder“, da ist ein Song drauf, der bringt das schon im Titel auf den Punkt: „Es ist alles 1 Scheiß“. Und darin heißt es dann auch: „Egal, was ich mach, es ist nicht genug/Egal, wie ich drauf bin, werd i verruckt!“ Und so geht‘s in einer Tour weiter – auch hier in Regensburg am Freitagabend.

Das Richtige im Falschen

Aber, und das ist natürlich jedem klar, unter den rund 200 Gästen im gerammelt vollen Degginger: Diese Selbstanklage, sie ist selbstredend eine Selbstinszenierung, vergleichbar mit den Welt- und Selbsthass-Tiraden eines Thomas Bernhard. Vielleicht ein Hilfeschrei – aber so erkennbar falsch, wie in dem Song „No a bissl foischer“ – weil das nicht nur auf Platte, sondern auch hier, in der Wahlenstraße, ganz grandios klingt und beste Ohrwurmqualitäten entfaltet. Und somit definiert diese Bühnenperformance das exakte Gegenteil einer „Kaputtheitsbohème“ (Süddeutsche Zeitung), die der Nino aus Wien hier inklusive seiner Mitmusiker Raphael Sas an den Keyboards und Gitarre, dem stets eine Matrosenmütze tragenden pauT am Bass und Drummer David Wukitsevits bietet. Dass der Rezensent davon allerdings nur akustisch Zeuge wurde, liegt genau an der oben schon erwähnten Überfüllung. Denn wahrscheinlich hätte man schon um 19 Uhr da sein müssen, um sich einen schönen Platz in der ersten Reihe genehmigen zu können. So bot sich als Optik lediglich eine Brandung aus Rücken – und vorne das Flackern der Bühnenscheinwerfer, die wie in Platons Höhlengleichnis ahnungsschwangeres Zeugnis davon ablegen, was sich vermutlich abspielt. Wenige Meter vor mir, am Mischpult, aber stand Martin Stein, der den Nino zum x-ten Mal bereits veranstaltet, und weil der Martin einfach ein paar Zentimeter größer ist, sah er nicht nur alles, sondern durfte sich auch noch seinen Lieblingssong „Die Hüttn vor dem Haus“ auf die Playlist drauf wünschen.

Dialektik als Erfolgsrezept

Das also ist der künstlerische Kern vom Nino aus Wien. Dass er über eigene Schattenseiten singt. Dass er den Mund nicht voll nimmt. Und sich eben nicht inszeniert, als größte Wunderwuzzi von der Welt. Sondern dass er singend über Schwächen spricht. Und darüber, dass er als Rapid-Fan – wieder nur unentschieden gegen Ried! – wenig zu lachen hat, in diesem Leben. Genau diese Dialektik ist ein Erfolgsrezept, weil sie eine Songlyrik der Extraklasse gebiert. Und dafür sorgt, dass die Band seit mittlerweile 15 Jahren besteht und live unterwegs ist – tags darauf gastieren sie in Stuttgart. Und kürzlich, da war der Nino weg aus Wien und in Hamburg. Und stand dort, in der Elbphilharmonie, an der Seite des mittlerweile 77-jährigen André Heller und gemeinsam mit Voodoo Jürgens auf der Bühne. Und durfte sich durchaus als einer fühlen, der die Verantwortung eines Staffelstabs trägt. Weil er beharrlich und in schönster Regelmäßigkeit neue Alben veröffentlicht, die allesamt das sind, was der Österreicher „klass“ nennt. Oder – um die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zu zitieren: „Der Nino aus Wien ist die bessere Alternative zu Wanda. Und Amore hat er auch.“

Kleine Einblicke

Dass er dabei die Tradition dessen, was so grausam „Austropop“ genannt wird, fortsetzt, das wurde auch vor Konzertbeginn deutlich: Man wird hellhörig, weil zunächst Georg Danzers „Weiße Pferde“ erklingen und sodann die „Blume aus dem Gemeindebau“ von Wolfgang Ambros, in dem die Zeile vorkommt: „I mecht vo Dir nur amal a Lächeln kriagn, Du schönste Frau von der Vierer-Stiagn“. Hat jemals irgendjemand eine romantischere Liebeserklärung formuliert, im Wiener Dialekt, als der Ambros? Bei der anschließenden Live-Performance freilich erweitert Nino den Bezugsrahmen deutlich, weil er Dylanfan ist und auch die Kinks und die Beatles dienen ihm immer wieder als Vorbilder. Österreich ist ein Wunderland. Weil es Künstler wie ihn hervorbringt, einen, der mit größter Lässigkeit diese Kunstfigur etabliert hat und die er einwebt, ins große Kokon der Pophistory. Und dabei kein Hehl macht, aus seinen Selbstzweifeln und Selbstinfragestellungen. Und der sein Künstlertum – und damit den nachfolgenden Ruhm – als er 19 war, mit seinem vielleicht großartigsten aller Songs damit begründet hat, dass es „immer ums Vollenden“ geht. Wie das Regensburger Publikum solche „klaanen Einblicke in mein Leben“ findet? Grandios natürlich. Beziehungsweise: klass! (Peter Geiger)

Und die gute Nachricht: Der Nino kommt heuer nochmal nach Regensburg – Martin Stein bringt ihn am 6. Dezember nochmal ins „Degginger“!