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AC/DC

Kritik zum Konzert am 12. Juni im Olympiastadion in München

AC/DC im Herz
Insider-Kritik von Jacqueline Floßmann für „classic rock“

Gestern spielten AC/DC zum zweiten Mal im Rahmen ihrer “Power Up”-Tour in München und fairerweise sei eines vorweg gesagt. Wer hier eine möglichst neutrale Berichterstattung erwartet, der oder die ist zumindest bei diesem Schriftstück an der falschen Stelle. Man hört sie immer mal wieder unken, jene Rufe, die absolute Objektivität erwarten und das bei einem Thema, das so emotional und somit unobjektiv funktioniert wie die Musik. Da man diesen Bericht nicht einer KI überlassen wollte, ist es vielleicht notwendig, kurz über den Hintergrund und die Vorlieben der Autorin aufzuklären, damit Lesende das Geschriebene besser einordnen können. Deswegen hier nun eine wichtige Information: Ich verehre AC/DC seit meinem siebten Lebensjahr, ich liebe diese Band. Das heißt nun aber wahrlich nicht, dass man nicht kritisch auf die eigenen Helden blicken kann. Ganz im Gegenteil. Viel mehr steht man mit nervösem Magen in dem 180-Euro teuren Bereich vor der Bühne (selbstbezahlt) und lässt sich von der Vorband The Pretty Reckless berieseln – nicht etwa, weil die Band um Taylor Momsen schlecht abliefern würde, das tut sie nämlich wahrlich nicht, sondern weil sich gerade schon alle Antennen am eigenen Körper auf AC/DC-Empfang ausrichten. Knapp eine Stunde lang bestreitet die talentierte Band diesen Slot, der auf der einen Seite so großartig und auf der anderen Seite extrem schwierig zu bespielen ist und kann mit Momsens elektrisierender Performance immerhin einen Teil des Publikums erreichen.

Nach einer 30-minütigen Umbaupause kommen sie schließlich nach einem kurzen, animierten Intro auf die schlicht gehaltene Bühne – jene Herren, die an diesem Abend die Welt bedeuten. Wie sich bereits seit dem „Power Trip“ Festival herumgesprochen hatte, beginnen AC/DC mit ›If You Want Blood (You’ve Got It)‹, einem, wenn nicht dem, Knaller von HIGHWAY TO HELL, der bisher in der Johnson-Karriere der Band live selten gespielt wurde. Danach gleich ›Back In Black‹, wo man das Gefühl hat, dass Brian in die „Yes I’m back“-Passagen besondere Gewichtung legt, denn schließlich ist er genau das mit seinen 76 Jahren: Zurück. Vergessen der vermaledeite Hörschaden, vergessen die Bilder von Axl Rose an Angus’ Seite. Briab Johnson ist wieder da – und auch wenn er leider sehr wenig bis gar nicht mit dem Publikum spricht, so füllt er seinen Teil der Bühne doch bis an den Rand und darüber hinaus mit seiner sympathischen Art, seinen Tippelschrittchen, dem verschmitzten Grinsen und dem immer noch in seinen Hüften zappelnden Boogie aus. Gesanglich müht er sich natürlich ab. Von Sekunde eins weg. Wer etwas anderes erwartet, hat die letzten 15 Jahre AC/DC vielleicht übersehen. Doch Johnson zieht durch und bleibt einigermaßen stabil und das bis zum Schluss, er will seinem Publikum fast zweieinhalb Stunden lang die volle Brian-Johnson-Ära-AC/DC-Performance liefern. Und zwar nicht seinem Alter angemessen. Ich kenne niemanden, der 76 Jahre alt ist und das, was Brian mit seinen Stimmbändern auf dieser Bühne tut, auch nur fünf Minuten lang durchhalten würde.

Neben der mehr als soliden Rhythmusfraktion (anders könnten sie auch nicht für AC/DC spielen) mit Drummer Matt Laug, dessen Spiel sich an Phil Rudds Drumming orientiert, Bassist Chris Chaney und Stevie Young, der seine Gretsch ähnlich hart anfasst wie sein Onkel Malcolm, wäre da natürlich noch Angus – an diesem Abend in azurblauer Schuluniform. Ohne seine Gitarre ist Angus Young unkomplett, irgendwie lückenhaft. Wenn man ihn bei Interviews oder Fantreffen ohne dieses sechssaitige Ding sieht, wirkt er wie ein kleiner, unscheinbarer, zurückhaltender, alter Mann. Doch sobald er seine SG umschnallt, scheint es, als hätte er einen Zaubertrank eingeflößt bekommen, als würden plötzlich alle Sterne in der richtigen Konstellation stehen – dann nämlich strahlt Angus Young Zufriedenheit, Energie und Fokus aus. Und diese absolute Vollständigkeit, die ihn mitten aus dem Universum zur selben Zeit an jenen selben Ort gebeamt hat, an dem 66.000 Menschen vor der Bühne stehen, um zu ihm aufzublicken. Zu diesem sehr kleinen Mann, der in den letzten 50 Jahren seines Lebens unfassbar Großes geleistet hat und immer noch leistet. Angus Young und seine Gitarre bilden mehr als eine Symbiose, die Vereinigung dieser beiden Komponenten ist das vielleicht schönste und gesündeste Abhängigkeitsverhältnis der Rockmusikhistorie.

Wenn Angus Young Gitarre spielt, vergesse ich die Welt um mich herum. Vergesse ich den Typen neben mir mit den fast verfassungswidrigen Patches auf seiner Kutte, übersehe ich das fast kopulierende Paar, das mir die Sicht versperrt und selbst seit 30 Minuten nicht mehr auf die Bühne geblickt hat. Dann übersehe ich auch gerne, dass sein Intro zu ›Thunderstruck‹ ziemlich aus dem Timing ist und es auch bei ›Hells Bells‹ dauert, bis seine Band rhythmisch wieder zu ihm findet. That’s life und vor allem live. Wenn Angus Young bei ›Dirty Deeds Done Dirt Cheap‹ für seinen einen Satz „But you ain’t got the guts“ extra ein Mikrofon auf die Bühne gestellt bekommt und dann vor lauter Freude bei seinem Einsatz nicht dort, sondern am Steg vorne steht und gerade noch im Zurücklaufen das “guts” schmunzelnd in Brians Mikro knurrt und spontan das „enough to drive you nuts“ nachlegt, muss einem einfach das Herz aufgehen.

Wenn Angus Young bei ›Let There Be Rock‹ vor der Zugabe (›T.N.T.‹ und ›For Those About To Rock‹ mit Kanonenfeuer) fast zwanzig Minuten soliert, dabei Hüften und Arme kreist, die Menschen dirigiert, sich beim Grande Finale auf seiner Plattform tatsächlich noch unter Konfettiregen auf den Boden wirft und einfach nur seine verdammte Gitarre spielt, wie er es schon immer getan hat, kann einen AC/DC-Fan das nicht kalt lassen. Egal, wie sehr man sich teilweise berechtigt darüber ärgert, dass „nur“ noch Angus und Brian in der Band sind, darüber, dass die Tickets so teuer und AC/DC-Konzerte extreme Massentourismus- und Konsumveranstaltungen geworden sind. Wenn man sieht, wie ein einzelnes gelbes AC/DC-Konfetti sich auf der verschwitzten linken Brust von Angus Young festklebt, ein bisschen über der Stelle, wo sein Herz schlägt, dann werden all diese Gedanken zur Nebensache. PS: Cliff Williams, du fehlst. (Jacqueline Floßmann)

Setlist:
If You Want Blood (You’ve Got It)
Back In Black
Demon Fire
Shot Down In Flames
Thunderstruck
Have A Drink On Me
Hells Bells
Shot In The Dark
Stiff Upper Lip
Shoot To Thrill
Sin City
Rock’n’Roll Train
Dirty Deeds Done Dirt Cheap
High Voltage
Riff Raff
You Shook Me All Night Long
Highway To Hell
Whole Lotta Rosie
Let There Be Rock

Zugabe:
T.N.T.
For Those About To Rock

(Fotokredit: AC/DC / facebook)