powerconcerts
turmtheater

The Tiger Lillies

Kritik zum Konzert am 9. Dezember in der Alten Mälzerei in Regensburg

Eine aus verfaulten Eiern gepellte Gegenwelt: Die Tiger Lillies verwandeln die Alte Mälzerei für eineinhalb Stunden in eine Totentanzhalle

Auch für Nichtkenner der Tiger Lillies ist schon nach den ersten Takten klar: Bei diesen drei leichenblass geschminkten Herren, hier in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Alten Mälzerei (nicht einmal ein letztes Reststühlchen mehr war zu ergattern), da ist so ziemlich alles aus dem Takt geraten. Weshalb bei dieser Combo die ansonsten hier im Diesseits geltenden Regeln außer Kraft gesetzt sind. Seit den späten 1980er Jahren schon treiben sie ihr circensisch anmutendes Unwesen, und zwar nach allen Regeln jener Kunst, wie sie schwarze Romantiker definieren, weshalb sie 2008 auch für einen Grammy nominiert waren. „Going to hell“, so lauten prompt die ersten, im Falsett gesungenen Worte von Sänger und Pianist Martyn Jacques, der, wenn’s die Sache will, auch zur elektrischen Ukulele oder zum Akkordeon greift. Und seine beiden Mitstreiter, der aschfahle Adrian Stout und der horror-clowneske Budi Butenop, sie haben einen Heidenspaß, setzen musikalische Akzente, am elektrischen Stehbass, am Theremin (die auch „Ätherwellengeige“ Apparatur gilt als „Urgroßmutter aller Synthesizer“) und der Singenden Säge der eine, an den Drums und ergänzender kurios-pfiffiger Geräusche-Show der andere. Und grinsen teuflisch zu ihren Mörderballaden, reißen nicht nur Grimassen, sondern auch die Augen auf, so dass ihnen die Pupillen wasserleichengleich hervorquellen. Und blecken dazu ihre strahlend weißen Haifischzähne. Währenddessen berauscht sich Bandgründer Martyn Jacques, indem er das Hohelied auf legale (Gin) wie illegalen Substanzen (Heroin, Kokain) singt, lässt kleine Mädchen an einer Bar Süßigkeiten feilbieten und sodann für jedermann hörbar die Uhr ticken und das Totenglöcklein erklingen.

Die Tiger Lillies, sie sind die Mr. Hydes des Pop: Ein gleichermaßen seltener wie seltsamer Fall, die in ihrer Maskerade eine aus verfaulten Eiern gepellte Gegenwelt verkörpern. Die ansonsten allenfalls Entsprechungen findet bei erklärtermaßen so kruden Zeitgenossen wie Tom Waits, Nick Cave oder den ebenfalls auf Singende Sägen vertrauenden Tindersticks. Und vielleicht ist genau damit auch ein Problem benannt: Dass sie es zwar verstehen, ihre Fans zu Jubelstürmen hinzureißen. Nichtkenner dagegen beginnen sich am Hinterkopf zu kratzen und bald zu fragen: Haben diese Ponys auch noch einen anderen Trick auf Lager? Oder reiten sie ihre tote, von der dunklen Seite des Mondes stammende Mähre nun endgültig zuschanden? Jedenfalls: Nach eineinhalb Stunden ist dann tatsächlich die Luft raus – aber konnte und wollte man überhaupt mehr erwarten, von einem solchen Totentanz? (Peter Geiger)