Es gibt fast niemanden in der deutschen Indieszene, der/die noch nie etwas von ihm gehört hat. Aber: Wo soll man anfangen, wie einordnen und wo aufhören? Aufgehört wird meist zum Schluss, doch Jesper Munk ist noch lange nicht fertig, ganz im Gegenteil. Nach „Taped Heart Sounds“ hat er nun vor kurzem ein neues Werk veröffentlicht, das die Seele wärmt und das Herz höher schlagen lässt. Ein herausragender, bunter Indie-Crooner-Strauß zwischen Jazz und New Wave, Chanson, balladeskem Blues und natürlich jeder Menge Soul Zwei Jahre nach seinem hochgelobten Cover-Album schlägt er damit ein neues Kapitel auf: Mit wohlgereiften Eigenkompositionen auf seinem Produzentendebüt kehrt er nun zur Freude aller treuen Wegbegleiter endlich auch wieder als Komponist und Texter zurück. „Yesterdaze“ ist gleichermaßen Annäherung wie Versöhnung mit seinem Frühwerk als auch Bewältigung verschiedener Themenkomplexe von Starrummel über Depression, von klischeebehafteten Eskapaden bis Beziehungskrisen, von Kapitalismuskritik bis zur menschlichen Entfremdung, aber auch von sachgemäßem, zwingend notwendigem Eskapismus sowie bedingungsloser Liebe und ein bisschen Zuversicht in das Leben als solches. Zudem verarbeitet Jesper die letzten vier sehr intensiven Jahre in seiner Wahlheimat Berlin, in der der in München gebürtige Deutsch-Däne seit etwas mehr als acht Jahren lebt. Es war ein wilder Ritt durch eine Zeit, in der er sich hauptsächlich seinen beiden Post-/Noise-/Art-Punk-Projekten Public Display of Affection (kurz P.D.O.A.) und Plattenbau gewidmet hat, mit denen er in ganz Europa, teilweise auch in Nordamerika auf Tourneen unterwegs war und so seiner persönlichen Diskografie noch einige Veröffentlichungen hinzufügen konnte. Sein neues Soloalbum „Yesterdaze“ wurde nun, wie auch schon „Taped Heart Sounds“, mit seiner Begleitband The Cassette Heads auf Tape aufgenommen, jener Tascam 488 MKII im Übrigen, mit der auch Mac DeMarco gerne gearbeitet hat. „Ich wollte als Produzent bei unseren Live-Recording-Sessions unbedingt den Bildschirm eliminieren.“ Eine reine Vorsichtsmaßnahme, wie er augenzwinkernd hinzufügt, „um sich trotz diverser Konzentrationsschwächen aufs Wesentliche konzentrieren zu können.“ Der Fokus war das Essenzielle. Jener gefühlvolle, alles vereinnahmende Spot auf die Musik, die Texte und auf den Vibe wurde das Geheimrezept von „Yesterdaze“. Und, so Jesper weiter: „Die Cassette-Heads kennenzulernen hat sich für mich angefühlt, wie nach Hause kommen … besser habe ich mich musikalisch ehrlich gesagt noch nie gefühlt.“ Seine Begleiter Tim Granbacka (keys, synth, guit, backing vocals), Bassist Hal Strewe und Schlagzeuger Ziggy Zeitgeist kommen aus der Berliner Session-Szene, fungieren aber – egal ob mit oder ohne Jesper – in ihrer Arbeit als Kreative ebenfalls als Komponisten und Produzenten und sind so umso besser in der Lage, Jespers Ideen zielgerecht, manchmal auch virtuos, immer aber mit sehr viel Herz, Können und Wärme umzusetzen: Moderner Neo-Soul, vom Jazz geküsst, dazu Chanson, R’n’B, bluesy Crooner-Balladen und zarter Indie-Pop bis hin zum Slow Wave, sind die Eckpfeiler, die „Yesterdaze“ wohl am besten beschreiben. Über den Titelsong sagt er: „`Yesterdaze´ ist der älteste Song des Albums. Die erste Demo dürfte so 2017 entstanden sein, zusammen mit Sam Vine. Es geht darum, dass man versucht, sich einer Beziehung völlig hinzugeben, merkt aber, dass die Dynamik ihre Balance verloren hat oder vielleicht auch nie eine hatte. Man realisiert, dass man jemanden mehr braucht als der-/diejenige einen selbst. Gleichzeitig handelt es von meinen ersten Jahren in Berlin. Das Wortspiel mit dem „daze“ – also vernebelt – beschreibt sehr gut meine Vergangenheit hier und gleichzeitig das woraus ich gerade auferstehe. Im Moment hat der Song einen ziemlich aktuellen persönlichen Bezug zu meiner Gegenwart: Herzschmerz und eine beendete Beziehung, die ich nicht beendet haben wollte. Es ist ein zentral wichtiger Songs für mich, weil er ungefähr die Tiefe von obsessiver Liebe beschreibt, die ich oft an den Tag lege. Wie süchtig ich nach Liebe sein kann und gleichzeitig die Verantwortung dann an jemand anderen abgebe, anstatt mich selbst zu lieben.“ Wobei Schubladen und Etiketten so gar nicht Jespers Denken beeinflussen. Kein Wunder bei einem, der sich erst mal den „Blues-Wunderknaben“ oder „Blues-Erneuerer“ abwaschen musste, als den man ihn zu Beginn seiner Karriere irgendwo zwischen den White Stripes und The Black Keys mit seinem Indie-Erstling „For In My Way It Lies“ und dem darauffolgenden Major-Debüt „Claim“ einzuordnen versuchte. Gerade mal 20 Jahre war er damals jung, kein Wunder, dass ihm da einiges ziemlich gegen den Strich ging. Jetzt, zwölf Jahre später, besticht Jesper Munk – der sich nicht nur was sein Umfeld anbelangt, 2024 völlig neu erfunden hat – mit kompromissloser Eigenständigkeit. Es ist die Freiheit, die ihn antreibt. Ganz ohne Major-Druck und meilenweit davon entfernt irgendwelchen Marktmechanismen zu entsprechen. Mit diesen neuen Songs kommt er auch nach Regensburg, allerdings ist das Konzert am 26. Februar im Ostentor-Kino bereits ausverkauft. (Glitterhouse) P.Ro
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