Robert Stadlober ist vor allem ein sehr berühmter Schauspieler. Nicht ganz unüblich ist es für solche Menschen, sich in unmittelbar benachbarten ästhetischen Disziplinen zu tummeln, wie der Musik und der Dichtung. Weshalb er im Berliner Verbrecherverlag zum einen eine 150 Seiten starke Anthologie mit Texten von Kurt Tucholsky herausgegeben hat, für deren Auswahl er laut Klappentext recht passend den Begriff „präzise“ reklamiert. Und zum anderen hat er sich zwei, drei Handvoll lyrische Texte des Bandes vorgenommen und sie vertont.
Weshalb durchaus einleuchtet, was sich da abspielt, im Halbdunkel der Bühne des ausverkauften Ostentorkinos an diesem verregneten Spätwintervorfrühlingsabend: Robert Stadlober, er verkörpert einen Typen zwischen den Zeiten. Denn ein bisschen will er wie der echte Tucholsky sein, mit grauem Hut auf dem Kopf, dem etwas zu weit geschnittenen Sakko und der mehrfach hochgeschlagenen Hose. Und gleichzeitig ist er in Kombination mit seinem hauchfeinen Akkordeonbegleiter Daniel Moheit doch ein Musiker aus der Gegenwart – und zwar aus jener, die sich einer historischen Aufführungspraxis verschrieben hat. Seine polarblaue Eastwood Airline-Gitarre, sie verfügt neben elektrischen Pick-ups auch über einen metallenen Resonator. Und verkörpert damit jene Geschichte der Popularmusik, die die Phase von den 1930er bis in die 1960er Jahre abdeckt.
Dramaturgisch – das kündigt er gleich zu Beginn an (nachdem er seiner Geige spielenden Tochter noch per Smartphone einen donnernden Publikumsapplaus als Gute-Nacht-Gruß hatte zukommen lassen) ist die Sache simpel gestrickt: Eingebettet zwischen das jeweils von ihm verfasste Vor- und Nachwort des Lyrikbändchens – dessen Titel „Wenn wir einmal nicht grausam sind, dann glauben wir gleich, wir seien gut“ seinerseits fast die Länge eines Haikus erreicht – liest er zunächst einen journalistischen Text von Tucholsky. Und im Anschluss folgt dann ein Lied. Was vielleicht aufs Erste wie simple Kreuzstickerei wirkt, erweist sich aber als genaues Gegenteil davon. Dies zu erklären, hat natürlich mit der unbedingten Qualität Tucholskys zu tun. Und ist deshalb mit der Gefahr verbunden, Eulen nach Athen zu exportieren. Aber wie aktuell etwa jener 106 Jahre alte Text ist, der den Titel „Was darf Satire“ trägt und dessen Schlusspointe („Alles.“) sich zum vermeintlichen Tischleindeckdich und Zauberspruch aller Populisten dieser Welt gemausert hat – das verraten die drei vorangehenden Seiten. Die ein flammendes Plädoyer sind, für die Kunst der Übertreibung – weil sie „blutreinigend“ wirkt.
So geht das dann im steten Wechsel, häufig entlang an Stichworten wie etwa dem journalistischen „Neuschnee“ (was für ein lebenskluger Essay!), den Robert Stadlober mit dem lyrischem „Schnee vom vergangenen Jahr“ verknetet und rundet, dann hat der gebürtige Kärtner, der Wien als Wohnort angibt und offenkundig ein intimer Kenner Berlins ist, Gedicht-Klassikern wie „Das Ideal“ oder „Augen in der Großstadt“ ein so melancholisches Leiberl zurecht geschneidert, dass man fast weinen möchte, wie in einem Konzert von „Element of Crime“ oder bei Tom Liwa. Weil wir wissen: Der echte Kurt Tucholsky, er verabschiedete sich 1935 in Schweden, wohin er sich geflüchtet hatte, aus dieser immer grausamer werdenden Welt. Und zwar per Schlaftabletten. Wir dagegen, die Zeitgenossen, die wir Zeuge werden der Umpolung globaler Magnetfelder – auch das bleibt uns, dem „Hochverehrten Publikum“ (sind wir wirklich so dumm und wollen nur die zuckrigen Sachen?) an diesem Abend nicht erspart – wir steuern auf Zeiten zu, die nach „deutlichen Texten“ verlangen. Weshalb Robert Stadlober als Schlusssong jenen gewählt hat, in dem sich der „Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:“ reimt auf: „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft“. (Peter Geiger)