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Welt im Aufruhr – Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert

Herfried Münkler

Rowohlt Verlag, Berlin, 528 Seiten, 2023, 30 Euro
Münkler zeigt in seiner brillanten und ausführlichen geopolitischen Untersuchung, wo in Zukunft die Konfliktlinien verlaufen werden.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs war viel die Rede von einer „neuen Weltordnung“. Damit war gemeint, dass die USA als einzige Supermacht aus dem Ringen mit der Sowjetunion verblieben war. Aber die letzten beiden Jahrzehnte haben gezeigt, dass diese Hegemonie weder Stabilität noch Sicherheit brachten. Die USA ließen sich als Reaktion auf 9/11 auf militärische Abenteuer im Mittleren Osten ein – und büßten dadurch zugleich ihren Ruf ein. Spätestens seit dem 15. August 2021, dem Tag des chaotischen Abzugs der westlichen Verbündeten aus Afghanistan ist diese unipolare Weltordnung – für jedermann live auf CNN zu verfolgen – vor den Augen der Welt verschwunden.

Dieses Machtvakuum lockt „revisionistische Akteure“ an. Womit Herfried Münkler Autokraten vom Schlage Putins meint. Der hat mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine gezeigt, dass er kein rationaler, vertrauenswürdiger Spieler mehr ist. Sondern dass er sich gewandelt hat, zu einem von Ressentiments, also von Groll, Wut und Empörung geleiteten Hasardeur. Von „postimperialen Phantomschmerzen“ spricht Herfried Münkler in diesem Zusammenhang, die den russischen Präsidenten ebenso plagen (der ja im Untergang der Sowjetunion die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ sieht) wie auch Figuren vom Schlage Erdoğans, Orbáns oder Vučićs: Die ihrerseits von Sehnsüchten getrieben sind und weder den Untergang des Osmanischen Reichs, die Verträge von Trianon noch die Auflösung des titoistischen Jugoslawiens wahrhaben wollen.

Herfried Münkler, der von 1992 bis 2018 den Lehrstuhl für Politische Theorie an der Humboldt-Universität zu Berlin innehatte, ist ein Experte, der nah dran ist, an Entscheidungsträgern, der mit Lars Klingbeil öffentlich diskutiert oder auch die Gelegenheit wahrnimmt, Angela Merkel drei Stunden lang zu befragen. In seiner soeben erschienen Studie „Welt in Aufruhr“ argumentiert er auf mehr als 500 Seiten aus dem tiefen Raum stupender Geschichtskenntnis heraus. Dem 30-jährigen Krieg hat er ebenso wie dem ersten der beiden Weltkriege umfassende Untersuchungen gewidmet. Blitzschnell vermag er umzuschalten, wenn es um Fragen von Machtgewinn und Machtverlust geht, vom Investiturstreits über die Zwischenstation Karl V. zu den Konflikten in der Sahelzone etwa. Wie wird sich die Welt nunmehr neu sortieren, nach dem Ende der amerikanischen Hegemonie? Und wie wird die globale Machtverteilung im 21. Jahrhundert aussehen? Vor welchen Umwälzungen, Brüchen und Umbrüchen stehen wir? Eine auf Werten und Normen fußende Weltordnung durchzusetzen, übersteigt die Fähigkeit des Westens. Die USA, der einstige „Weltpolizist“, befinden sich trotz internationalen Engagements auf dem Rückzug; die UN, der man diese Rolle einst zugedacht hatte, blockiert sich selbst. Und die Europäer? Sie sind schlicht nicht imstande, Stabilität zu garantieren und eine Weltordnung zu hüten.

Wir befinden uns also in einer gleichermaßen prekären wie risikoreichen Lage, für die sich Analysen vormaliger weltpolitischer Konstellationen als hilfreich erweisen können, um Hinweise auf die künftige, sich jetzt herausbildende Ordnung zu erhalten. Herfried Münkler zeigt in seiner brillanten und ausführlichen geopolitischen Untersuchung, wo in Zukunft die Konfliktlinien verlaufen. Viel spricht dafür, dass ein neues System regionaler Einflusszonen entsteht, das dominiert sein könnte von fünf Großmächten – China und Russland auf der einen Seite, den USA und der EU auf der anderen Seite. Und mittendrin Indien.

Wo die Gefahren dieser neuen Ordnung und ihre Chancen liegen, wägt Herfried Münkler dabei ebenso so ab wie Fragen, ob die von ihm beschriebene Pentarchie ein austariertes Mächtegleichgewicht garantieren kann – oder nur weiteres Chaos? In Summe ein aufregender, Maßstäbe setzender Ausblick auf die Machtkonstellationen im 21. Jahrhundert! (Peter Geiger)

Zum Verfasser: Herfried Münklergeboren 1951, ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und eine unverzichtbare, prägende Stimme in den Debatten unserer Gegenwart. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa „Imperien“, „Die Deutschen und ihre Mythen“, für das er den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, „Der Große Krieg“ oder „Die neuen Deutschen“. Münkler wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Carl Friedrich von Siemens Fellowship.