Normalerweise gilt: Über eine Veranstaltung zu schreiben, bei der ein Kolumnist seine Arbeiten vorstellt, das ist vergleichbar mit jener Situation, die in Bayern gemeinhin als „gmahde Wies’n“ bezeichnet wird. Oder die kuhzureitende Amis kaugummikauend mit einem legeren „as simple as that“ kommentieren. Denn als anwesender Chronist muss man für gewöhnlich nur ein paar Schlüsselwörter mitnotieren, um so anschließend seinem eigenen Lesepublikum erfolgreich eine Ahnung davon zu vermitteln, wie breit das thematische Spektrum war. Und welche gedanklichen Tiefen dieses Unterfangen in Kombination mit der Anzahl der Lacher erreichte. Copy, paste und Konjunktion – fertig ist die Rezension.
Nichts für Flachlandtiroler
Trotz jahrelanger Erfahrung in diesem Mitschreibbusiness muss der Chronist im Falle von Max Goldt allerdings eingestehen: Diese Wiese, sie ist ganz anderer Natur. Sie kann nicht einfach im Vorübergehen an einem wolkenverhangenen Nachmittag nach dem Motto „mir nichts, dir nichts“ abrasiert werden. Und anschließend das Heu in Gestalt einer Nacherzählung einzufahren und daraus journalistisches Katzengold zu spinnen. Was fast ein bisschen schade ist, denn wäre der Rezensent privat da gewesen, er hätte sich ganz einfach köstlich amüsiert. Aber um diesen zweiteiligen und dabei ziemlich komplexen Abend abzubilden, das ist nichts für Flachlandtiroler, dazu bedarf es eben dann des Einsatzes von Spezialwerkzeug und extrem leichtem Gerät. Denn diese Wiese, diese Goldt’schen Textflächenlandschaften – Kolumnen zum einen, die ebenfalls in ein Vorleseformat gebrachten Comicstrips zum anderen – sie sind ausgestattet mit Maulwurfshügeln, die flugs zu Sprungschanzen mutieren und warten auf mit gleichzeitigen Unterminierungen, in denen man sich als etwaig unaufmerksamer Zuhörer verfangen kann. Max Goldt verwendet Sprache und Floskeln, die eines Thomas Mann würdig sind. Zitiert Benn. Und sieht im Profil manchmal aus, als wäre er der Bruder von Roland Kaiser.
Dult oder Mälze?
In der Alten Mälzerei war er mindestens schon zehn Mal, sagt er. Und kommentiert sogleich, natürlich nicht frei von Selbstironie, dass sich heute wohl deshalb nicht so viel Publikum wie üblich versammelt hätte, weil ja schließlich Dult sei. Wie groß freilich die Zahl derjenigen war, denen die Entscheidung „Bierzelt“ oder „Mälzerei“, „Predator“ oder „intellektuelles Top-Vergnügen“ tatsächlich Kopfzerbrechen bereitete, das ist einem Mann, der die Berufsbezeichnung „Humorschriftsteller“ „ganz scheußlich“ findet und sich lieber als „Stilist“ bezeichnen lässt, ganz bestimmt so klar wie eine durch Sieb und Küchentuch durchgeseihte Hühnerbrühe, die per Schöpfkelle wie warmer Honig in den Teller fließt. Aber gerade die von ihm gestifteten Momente der Verwirrung – wenn er etwa einen Text liest, den er fürs anstehende „Black Humour Festival“ in Linz vorbereitet hat (in dem von einer sehr mysteriösen „ostoberösterreichischen Zuckerlsaugergesellschaft“ die Rede ist) oder jenem Weihnachtsmarkttext, von dem er sagt, er hätte ihn aus dem eigenen Giftschrank befreit, erweisen sich als die Volltreffer dieses Abends. Und daneben hat er das im Angebot, was er als „Texte, die richtig gut flutschen“ bezeichnet: Kolumnenklassiker wie den über die feinen Unterschiede von Zufriedenheit und Glück. Nach knapp zwei Stunden Max Goldt vermag diese Gemütszustände niemand zu unterscheiden, sie vermengen sich wie weißes Limo und Bier zum Radler. Sodass alles fließt und ein gleichermaßen impulsiver wie emulsiver Humormix entsteht. Reines Wohlbefinden! (Peter Geiger)
Wenn 80 Millionen Deutsche auf das warme Duschen verzichteten, was wäre dann? Dieser Frage hat sich Max Goldt schon 1997 gewidmet. er stellte euphorisch fest: „Na holla“. das mache jedes Atomkraftwerk in Deutschland unnötig. Er selbst sei schon lange ein „Kaltduscher“ und werde deswegen für seinen Mut bewundert. Goldt muss selbst zugeben, wie überrascht er sei, dass sein Text „Über das kalte Duschen“ jetzt zu einer ungewöhnlichen Aktualität gekommen sei. Er konnte nicht ahnen, dass 25 Jahre später Politiker zu ebendiesem Verhalten befragt werden. Aber eigentlich liege das in der deutschen Tradition. Schließlich sei der „Warmduscher“ schon immer eine beliebte Beleidigung gewesen. (FAZ, 22. Dezember 2022)
Goldts minutiöse Alltagsbeobachtungen setzen an dem Spalt zwischen einer immer verrückter werdenden Empirie und dem kulturkritischen Geschwätz über sie an. Humor dringt in diesen Zwischenraum und sprengt den hässlichen Betonklotz der Moderne. Unter Goldts Unschuldsblick gibt es die Unterschiede von Natur und Kunst, schön und hässlich erst einmal nicht. (FAZ, 2. April 1996)