Haindling, von alters her ist das ein bayerisches Zauberwort und beschreibt einen magischen Ort unweit von Geiselhöring. Seit dem 14. Jahrhundert pilgerten Gläubige dorthin, um die Heilige Jungfrau anzubeten – zuerst in einer Kapelle, später, ab 1721, in einer ihr zu Ehren errichteten Kirche. Aber Haindling ist natürlich noch viel mehr als bloßer Ausdruck weißblauer Wundergläubigkeit: Die zwei Silben stehen auch für Hans-Jürgen Buchner, den im Dezember 1944 kriegswirrenbedingt bei Berlin geborenen Urbayern. Bis er Ende 30 war, wirkte er vor allem als Töpfermeister. Tastete sich an die Musik als Autodidakt heran. Betrieb sie nur in der Freizeit. Dann aber traf Buchner Hermann van Veen, der ihm nicht nur zu einem Plattenvertrag verhalf. Er machte auch die Komposition, die später „Lang scho nimmer gseng“ heißen wird, unter dem Titel „Hilversum 3“ zum Evergreen in Benelux. Der Rest, klar, ist Musikgeschichte. Am Donnerstag gastierte Haindling auf der Piazza, beim Festival von Power Concerts, und der Erfolgstitel bildete den Schlussakkord eines lang beklatschten Abends.
Haindling als Bandname, das steht punktgenau und pfeilgerade für einen Sound, den Thomas Goppel, als er noch Bayerns Kunstminister war, goldrichtig in einem Atemzug mit den Beach Boys nannte: Denn was die für das wellenförmige Auf und Ab von Ekstase und Melancholie stehende Gesangscombo um Brian Wilson für den US-Musterstaat Kalifornien bedeutet – für das hierzulande maßstabsetzende Bayern darf Haindling eben solches für sich beanspruchen. Das Sextett um Mastermind Buchner herum prägt seit 42 Jahren schon den „Signature Sound“ unseres oftmals recht kleinkarierten Freistaats. Die Formation erweitert die vier Ecken der Raute unseres Wappens mit seiner Armada an Blasinstrumenten in Richtung Kugelgestalt der Welt. Dabei schöpft die Band – das wird auch bei dem rund 130-minütigen Konzert deutlich, das sie mit „Weite Welt“ vom Debütalbum eröffnet – konsequent aus der Tradition. Sie verschmilzt lange, romantische Waldhorn- und Tubastrecken mit dem, was vor gut 40 Jahren als letzter Schrei im Pop galt: ein stakkatohaft geklopftes oder polyrhythmisches E-Piano (so steuert der typische Yamaha CP 70-Sound nicht nur Melodie, sondern auch Percussives bei), ein nervös gespielter Bass und Synthesizerklänge, die ihrerseits fast an die Elektropioniere Kraftwerk erinnern. Als Bild drängt sich hier eher der Dampfkochtopf auf: Denn Haindling verrührt alles miteinander – und zwar bei exakt abgestimmter Temperatur. So dass am Ende ein Sud draus wird, in dem sämtliche Vitamine der Ausgangsmaterialien noch erhalten sind. Dieses musikalische Idiom, das den bayerischen Traditionalisten ebenso anspricht wie – sagen wir – den Miles Davis-Fan, das führt Haindling auf der Piazza immer wieder vor. Und dann gibt es auch noch diese bildstarken Filmmelodien, die längst Hymnencharakter erlangt haben, sei es das herzerwärmende Thema zu „Irgendwie und Sowieso“. Oder „Paula“, das die BR-Serie „Zur Freiheit“ umrahmte und zugleich ein Denkmal aus Tönen ist, für die vor 15 Jahren verstorbene Ruth Drexel.
Ganz offen spricht Hans-Jürgen Buchner davon, dass er vor zwei Jahren eine schwere Operation zu überstehen hatte. Dass es ihm jetzt aber wieder gut gehe. Seine Vitalität weist der 79-Jährige nicht nur beim „Moonwalk“ nach, wenn ihm die Band „Billy Jean“-artige Klänge liefert. Es ist erstaunlich, mit welcher Kraft in den Lungen er hier als Sänger wie als Bläser agiert – und gleichzeitig einräumt, in seinem Leben 670000 Zigaretten geraucht zu haben. Aber auch das ist typisch für Buchner: Er paart frappierende Offenheit mit volkstümlichem Witz. Diese Tour, so ist zu hören, soll wohl die letzte sein. Weshalb nicht nur Barbara aus Bremerhaven in der ersten Reihe sitzt und bei der Zugabe Sternenwerfer verteilt, sondern auch ein Paar aus dem Schwarzwald, das „Haindling unbedingt nochmal sehen“ wollte. Überschrieben ist die Tournee mit dem optimistischen Motto „Es geht wieder auf“. Weil Buchner Kraft aus alle dem Hier schöpft und aus seinem speziellen Humor, der valentinesk und fernöstlich weise zugleich ist.
Haindling bietet seinem Publikum Spektakel, holt Alphörner genauso auf die Bühne wie eine sechsköpfige Schuhplattlertruppe, um kurz danach inklusive Band zu improvisieren, als wär’s das Mahavishnu Orchestra. So vereint Haindling Welten und Widersprüche, predigt gegen Geldgier und Flächenfraß, veräppelt die Piazza als „Gewerbeparkplatz“ und singt „Bayern, des samma mir!“ und reimt „Reinheitsgebot“ auf „Flüssiges Brot“. So zaubert Haindling Club und Bierzelt unter einen Hut. So, wie’s sein soll. Am besten bis in alle Ewigkeit! (Peter Geiger)
(Fotokredit: Bernd Schweinar)