London, 24. September 1969: Für damalige Gepflogenheiten ungewöhnliche, fast schon revolutionäre Klänge mischten sich an jenem Abend in der traditionsreichen Royal Albert Hall unter das vertraute Spiel des Royal Philharmonic Orchestras – und sorgten vermutlich auch für Irritationen unter dem kunstsinnigen Publikum.
Der Grund: An jenem besagten Herbsttag gelangte das von Jon Lord (org) eigens komponierte „Concerto for Group and Orchestra“ zusammen mit seinen Kontrahenten der noch jungen britischen Rockgruppe Deep Purple und dem Royal Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Malcolm Arnold zu seiner Uraufführung. Wenn auch die Annäherung von Pop- und Kunstmusik bereits seit Mitte der 1960er Jahre in unterschiedlicher Weise praktiziert wurde, darf doch gerade diese Komposition als Innovation gelten. In gewisser Weise kann es auch als Urahn und Vorwegnahme des Konzepts gelten, das heute wohlbekannt unter dem großen Begriff „Rock meets Classic“ firmiert. Zeugnis dieser musikalisch wegweisenden Symbiose gibt die wenige Zeit später als Live-Mitschnitt veröffentlichte Langspielplatte jenes denkwürdigen Konzerts unter dem gleichnamigen Titel „Concerto for Group and Orchestra“.
Das in drei Sätze unterteilte Concerto für Rockband und Symphonieorchester mit einer Länge von rund 50 Minuten wird dabei seinem Namen mehr als gerecht. Denn das in der titelgebenden Form steckende Wort concertare bedeutet so viel wie wetteifern oder gar streiten. Ein Concerto zeichnet sich somit genau durch dieses wetteifernde „Gegeneinander im Miteinander“ von kontrastierenden Klanggruppen und -farben aus, die miteinander in einen Dialog treten und eine harmonische Einigung im Ganzen erzielen wollen. In diesem Falle konzertierten ein großes Symphonieorchester, solistisch auftretende Instrumente sowie der in diesem Zusammenhang noch ungewöhnliche Klangkörper einer elektrisch verstärkten Rockband miteinander. Und ganz unverkennbar war es das hörbare Wetteifern dieser zwei mehr als kontrastreichen Fronten, das prägend für die gesamte Komposition werden sollte. Dabei gelang der einigende Dialog insgesamt in unterschiedlicher Weise. So bestritt das Symphonieorchester den expressiven ersten Satz (Allegro – Moderato – Vivace) des Concertos für einige Minuten alleine, bevor plötzlich gleich eines Sonnenstrahls Lords Hammond Orgel den bis jetzt einseitigen Dialog mit aufmischte. Daraufhin folgten kurze, fast schon abrupte Wechsel zwischen den zwei wetteifernden Klangkörpern. Ähnlich eines scharfen Impulses verschaffte sich schließlich ebenso das mehrminütige E-Gitarren-Solo von Ritchie Blackmore Gehör im ganz klar orchestral bestimmten ersten Satz, bei dem von einem einigenden Gespräch noch keine Rede sein kann. Im lyrisch erhabenen zweiten Satz verschmolzen Orchester und Band hingegen in hervorragender Weise fast vollständig, als Sänger Ian Gillan in das instrumental dominierende Geschehen mit einstieg. Nachdem das gemeinsame Spiel letztlich in einen kräftigen Blues der Band mündete, behauptete sich die Band im zweiten Satz deutlich stärker. Der dritte, dazu kontrastierende Satz wurde zunächst erneut durch das Orchester bestimmt, bevor sich Deep Purple gekonnt einfügte und das charakteristische Alternieren der Klangblöcke wieder aufgegriffen wurde. Dabei kam jetzt ein wirklich gemeinsamer Dialog in Form des gemeinsamen Musizierens zustande, der mal dem einen, mal dem anderen die Führung überließ. Überraschend in diesem krönenden, abschließenden Satz ist weiterhin das ausufernde Drum-Solo von Ian Paice. Als dominantestes Instrument der Rockband erwies sich im gesamten Concerto immer wieder die Hammond-Orgel von Jon Lord, die sich sowohl in solistischen Passagen hervortat, als auch für den warmen Klangteppich verantwortlich war und immer wieder Impulse stellvertretend für die Rockgruppe in die orchestrale Landschaft setzte.
Mit seinem Rockmusik und Klassik verbindenden Concerto zeichnete sich der klassisch ausgebildete Musiker Jon Lord nicht nur als kongenialer Komponist sowie innovativer Grenzgänger aus, sondern bewies sich ebenso als Kenner der vergangenen Musikgeschichte. Auch wenn Deep Purple kurze Zeit später andere und deutlich härtere Bahnen einschlug, sollte das „Concerto for Group and Orchestra“ von 1969 nicht nur prägend für die damalige experimentierfreudige, zeitgenössische Musikszene sein, sondern es bis heute bleiben. (Tetragrammaton Records [USA] 1969/Harvest [UK] 1970) niku